Pfegeeltern werden: Kindern ein Zuhause geben

Wenn Kinder zu Hause nicht mehr versorgt werden können, brauchen sie eine liebevolle Ersatzfamilie. Pflegeeltern übernehmen für unbestimmte Zeit die Aufgaben der leiblichen Eltern. Die Stadt Wien sucht deshalb laufend interessierte Personen. Im Interview mit Wienerwuzzi beantwortet Mag. (FH) Justyna Vicovac, Teamleiterin des Fachbereichs Pflegekinder im Pflegekinderzentrum Nord, die wichtigsten Fragen zum Thema.

Wienerwuzzi: Welche Aussichten haben interessierte Paare – sprich: welche Anzahl von Kindern steht pro Jahr wie vielen Paaren gegenüber?
Justyna Vicovac: Wir vermitteln durchschnittlich zirka 90 Kinder jährlich zu Pflegeeltern. 2023 waren es 92 Kinder. Wir haben immer einen hohen Bedarf an Pflegeeltern.

Wienerwuzzi: Wie lange beträgt die durchschnittliche Wartezeit?
Justyna Vicovac: Rechnet man die Zeit der Ausbildung und der Eignungsüberprüfung mit zirka 6 bis 9 Monaten, so ist davon auszugehen, dass wir bald nach dieser Zeit ein Kind an die nun ausgebildeten Pflegeeltern vermitteln können – auch wenn es eine sehr individuelle Vorgehensweise ist, da wir natürlich die möglichst passendsten Pflegeeltern für das Kind, mit all seinen Bedürfnissen suchen und auch die Voraussetzungen der Bewerberinnen und Bewerber passen müssen.

Wienerwuzzi: Können auch Alleinstehende Pflegeeltern werden?
Justyna Vicovac: Ja, das ist möglich und wir haben auch viele alleinstehende Pflegepersonen, die sehr gut die Kinder aus schwierigen Verhältnissen versorgen und unsere Kooperationspartner:innen sind.

Wienerwuzzi: Anders als bei der Adoption behalten die leiblichen Eltern bei der Pflege ja bestimmte Rechte, zum Beispiel das Kontaktrecht. Wie groß ist statistisch gesehen das Risiko, dass das Kind wieder zur leiblichen Familie zurückkommt?
Justyna Vicovac: Sehr gering – auch wenn wir immer darauf hinweisen müssen, dass es nicht ausgeschlossen ist. Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA11) überprüft im Vorfeld sehr intensiv, ob die leibliche Familie das Kind versorgen kann. Das hat natürlich Vorrang, bevor ein Kind aus der Familie herausgenommen werden muss. Es hängt bei strittigen Obsorgeverfahren vom Gericht ab, ob das Kind zu den Eltern zurückkehren kann. Je länger jedoch ein Kind bei Pflegeeltern versorgt wurde, zu diesen eine Bindung aufgebaut hat und je schwächer die längerfristige Perspektive einer förderlichen, gewaltfreien Versorgung bei leiblichen Eltern ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass das Kind zur leiblichen Familie zurückkehren kann.

Wienerwuzzi: Wie viele Pflegekinder kann eine Familie aufnehmen?
Justyna Vicovac: Es gibt keine fixe Begrenzung. Die meisten Pflegeeltern haben ein Kind oder zwei Kinder bei sich. Einige Familien auch mehrere. Wichtig ist, dass es ausreichend Ressourcen in der Pflegefamilie gibt, um mehrere Kinder gut zu versorgen. Zu bedenken ist, dass Pflegekinder oft vielen belastenden und nicht förderlichen Umständen ausgesetzt waren und manchmal einiges nachholen müssen. Jedes Kind braucht hier auch eine besondere Aufmerksamkeit, um gut unterstützt zu werden.

Wienerwuzzi: Welche Voraussetzungen müssen Pflegeeltern erfüllen?
Justyna Vicovac: Es gibt Standardabfragen, die wir durchführen, um sicherzustellen, dass die Lebensbedingungen der Pflegepersonen für die Versorgung des Kindes passen. Dazu gehören beispielsweise Leumund-Abfragen, die Erhebung der Wohnsituation, die grundsätzliche finanzielle Absicherung etc. Dann gibt es auch Gespräche und Erhebungen zu den Vorstellungen und Erwartungen der Pflegepersonen, wie sich ein Leben mit dem Pflegekind gestalten kann. Eine liebevolle, förderliche Umgebung, Toleranz, Offenheit gegenüber der Geschichte und dem Kontakt des Kindes zu den leiblichen Eltern, grundsätzliche psychische Stabilität und Belastbarkeit sind ein gutes Paket an Voraussetzungen, welches man auf jeden Fall mitbringen sollte.

Wienerwuzzi: Welche Unterstützungen können Pflegeeltern in Anspruch nehmen? 
Justyna Vicovac: Von Beginn an haben Pflegeeltern eine Ansprechsperson bei der Wiener Kinder- und Jugendhilfe für jegliche Fragen rund um das Pflegekind und seine Situation. In Wien haben wir drei Pflegekinderzentren, die Pflegefamilien sozialarbeiterisch mit Rat und Tat zur Seite stehen. Es gibt viele Unterstützungsangebote, unter anderem das Pflegekindergeld, Kostenübernahmen für Therapien und Zuschüsse, Pflegeelterncoaching durch Psychologinnen der MA 11 oder auch Pflegeelterngruppen in den Pflegekinderzentren zum Austausch und zur Reflexion. Es gibt außerdem laufende kostenlose Fortbildungen zu unterschiedlichen Themen. Darüber hinaus haben Pflegeeltern die Möglichkeit, sich über den Verein Efkö anstellen zu lassen. (Nähere Informationen zu den Anstellungsmodellen gibt‘s unter Anstellungsmöglichkeiten – efk).

Wienerwuzzi: Gibt es auch Risiken für interessierte Paare?
Justyna Vicovac: Es gibt kein Risiko, sich einmal zu informieren und auch diesen Weg für sich selbst und die anderen Familienmitglieder zu überprüfen. Unsere kostenlose Ausbildung ist so aufgebaut, dass hier Raum gegeben wird für die eigene Reflexion, ob es für mich/uns tatsächlich passt mit einem Pflegekind zu leben. Diese Entscheidung ist folgenreich, natürlich auch im positiven Sinne. Wir bearbeiten in der Ausbildung eine Palette an Themen, um die Menschen, die einem Kind ein liebevolles Zuhause bieten wollen, gut vorzubereiten und zu informieren. Und natürlich kann es auch sein, dass man draufkommt, dass es für die eine oder den anderen doch nicht passt, weil die Vorstellungen andere sind.

Wienerwuzzi: Wohin sollen sich Leute, die sich vorstellen können, ein Pflegekind aufzunehmen, wenden?
Justyna Vicovac: Interessierte können sich per Mail an kanzlei-rap@ma11.wien.gv.at oder telefonisch unter der Nummer 01/4000 90770 an das Referat für Adoptiv- und Pflegeeltern wenden. Einen guten Einstieg in das Thema bieten auch Online-Infoabende.


Gesprächspartnerin dieses Interviews: Mag. (FH) Justyna Vicovac, Teamleiterin Fachbereich Pflegekinder im Pflegekinderzentrum Nord (MA11).


TIPP: In Teil 2 der Serie (kommt am 20.10.2024 online) berichtet eine Wiener Pflegefamilie aus ihrem Alltag, von ihren Herausforderungen und ihren Glücksmomenten.

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